Mehr Anspruch als Wirklichkeit
In der Vereinbarung ist festgelegt, dass eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen vorgelegt werden soll, sich Deutschland für ein Ende der Pelztierhaltung in der EU einsetzen wird oder die Landwirte dabei unterstützt werden, die Nutztierhaltung in Deutschland artgerecht umzubauen. Aber auch Themen wie die längst notwendige Positivliste für Zirkustiere oder eine - wenn auch schwache - Regelung zur Reglementierung des Onlinehandels mit Haustieren, lassen den Vertrag in einem guten Licht erscheinen.
Ein Scheinwerfer für den Tierschutz, könnte man meinen. Meine Vorstandskollegen im europäischen Dachverband Eurogroup for Animals waren sprachlos und auch neidisch ob des Erreichten. Das alles umgesetzt und auf andere Länder in Europa „abgefärbt“, würde mit den Nachhaltigkeits- und Farm-to-fork-Strategien der Kommission zu einem wahren Schub für den Tierschutz innerhalb der EU führen.
Kein Tempo zum Wohl der Tiere
Fast ein Jahr, ein Drittel der nutzbaren Legislaturperiode, brauchte Cem Özdemir, der selbst ernannte Tierschutzminister, um nun seinen ersten Gesetzentwurf ins Kabinett einzubringen. Mit dem staatlichen Tierhaltungskennzeichen, das ebenso im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, hätte er Tierschutzgeschichte schreiben können. Doch leider wurde es kein großer Wurf, sondern eine herbe Enttäuschung! Denn das Kennzeichen sortiert lediglich die Betriebe neu ein, bringt aber keinen substanziellen Fortschritt für die Tiere. Von einer positiven Dynamik für das aktuell tierschutzwidrige System ganz zu schweigen.
Nicht nur, dass es sich zunächst nur auf die Haltung von Schweinen bezieht, sondern es lässt auch so wichtige Bereiche wie den Transport oder die Schlachtung völlig außen vor. Ob und wann andere Tierarten wie Hühner oder Rinder aufgenommen werden, steht in den Sternen. Die vier geplanten Haltungsstufen mit schönfärbenden Bezeichnungen wie „Stall“ sind eher ein Etikettenschwindel. Denn „Stall“ suggeriert Bauernhofidylle, bedeutet aber für Schweine ein Leben mit künstlichem Licht, auf Spaltenböden und in engen, unstrukturierten Produktionshallen. Eine Unterstützung der Landwirte, die Nutztierhaltung artgerecht umzubauen, wie es heißt, sieht wohl anders aus!
Weit entfernt vom Koalitionsvertrag und einem wahren Tierschutzkennzeichen kommt die Sorge auf, dass auch die anderen hehren Ziele des Koalitionsvertrages auf der Strecke bleiben könnten.